Migrationsonomastik: Personennamen im Kontext von Wanderungsbewegungen

Tagung 2025

Wir laden zur 10. Mainzer Namentagung „Migrationsonomastik“ ein, die vom 29.9.–1.10.2025 in der Akademie der Wissenschaften stattfindet. Ziel ist, Anthroponyme in Verbindung mit Sprachbiografien und Migrationsprozessen zu untersuchen.

Fragestellungen in Verbindung mit Migration haben sich in den letzten Jahren zunehmend als linguistisches Forschungsfeld etabliert (vgl. die 2024 erschienene Einführung „Migrationslinguistik“). Dabei stehen Mehrsprachigkeit, Variation und Sprachkontakt im Zentrum. Bisher unberücksichtigt blieben jedoch Personennamen, obwohl ihnen bei Migrationsprozessen eine zentrale Rolle zukommt: Im Rahmen von Migration werden Ruf- und/oder Familiennamen beibehalten, angepasst oder abgelegt. So erzählen Namen individuelle oder gruppenspezifische Zuwanderungsgeschichten. Anthroponyme können Marker für Migration sein und so zu Stereotypisierungen oder Diskriminierung führen, z. B. auf dem Arbeitsmarkt (Kaas/‌Manger 2010; Handschuck/‌Schröer 2010: 105, 142; Goldstein/Stecklov 2016) oder bei der Wohnungssuche (Lütkenhöner 2011; Bursell 2012).

Die Tagung greift Ergebnisse und Forschungsperspektiven des internationalen Workshops „Personennamen in Migration“ auf, der 2023 an der Universität Münster stattfand. Ziel ist die Auseinandersetzung insbesondere mit grammatischen Anpassungsprozessen, der Transliteration, der situativ-pragmatischen Variation oder dem Wechsel von Ruf-, Familien- bzw. Gesamtnamen:

Grammatische Integrationsprozesse

  • Welche Anpassungen haben Personennamen in Sprachkontaktgebieten wie z. B. dem Elsass, Schlesien, Böhmen oder im sorbischen Siedlungsgebiet erfahren? Von Interesse sind u. a. Eindeutschungen von Familiennamen französischer (frz. Chevalier > Schwalie) und niederländischer Herkunft (ndl. Vermeulen > Vermöhlen) sowie insbesondere slawischen Ursprungs (tsch. Řehoř > Seehorsch > Seehorst, poln. Gąsior > Gansohr), die von Einwanderung oder Sprachkontakt zeugen. Wie kann Namengeografie Aufschluss über Wanderungsbewegungen geben? (Nübling/Kunze 2023: 90–177)
  • Welche Veränderungen gehen mit Übertragungen in ein anderes Schriftsystem einher (z.B. vom kyrillischen oder griechischen ins lateinische Alphabet)? Wie werden chinesische Schriftzeichen übertragen? Werden fremde Grapheme oder Diakritika beibehalten oder ersetzt (İlkay Gündoğan vs. Ilkay Gündogan)?
  • Welche Anpassungen erfährt der Gesamtname, etwa beim Übergang von einem drei- in ein zwei- oder gar einnamiges System? Werden ostslawische Patronyme wie Ivanovich/Ivanovna (‘Sohn/Tochter des Ivan’) beibehalten oder abgelegt? Wie geht man mit der im Chinesischen üblichen Abfolge Familienname vor Rufname um? (Woo Louie 1998)
  • Wie geht man mit geschlechtsanzeigenden Familiennamen um? (vgl. griech. Zervakis/Zervaki) 
  • Welche Charakteristika weisen Personennamen in deutschen Varietäten außerhalb Europas wie z. B. Namdeutsch in Namibia (Zimmer 2021), Pennsylvaniadeutsch in Nordamerika, Wolgadeutsch in Argentinien oder Riograndenser Hunsrückisch in Brasilien auf?

Situative Variation oder vollständiger Namenwechsel

  • Unter welchen Bedingungen findet bei Migration Namenwechsel statt? Nach welchen Kriterien wird ein neuer Name ausgewählt? Wie wirken sich Charakteristika von Ausgangs- und Zielsprache und deren Nameninventaren auf diese Entscheidung aus?
  • Welche Rufnamen geben Migrant*innen ihren Kindern? (Gerhards/Hans 2009; Schiller 2024)
  • Koexistieren der alte und neue Name, werden sie situativ variiert? Werden Personennamen zu Ingroup- oder Outgroup-Markern? Beispielsweise wurden Migrant*innen russlanddeutscher Herkunft in den 1980er und 1990er Jahren Namenanpassungen bzw. -wechsel nahegelegt (Jewgenij > Eugen). Während der alte Name in der eigenen Familie oft weiterexistiert, dient der neue zur Kommunikation außerhalb. (Krüssel 2020)
  • Für welchen Familiennamen entscheiden sich interkulturelle Paare bei der Heirat? Welchen Einfluss nimmt nationale bzw. ethnische Herkunft in Kombination mit anderen sozialen Unterscheidungen wie Geschlecht? Welchen Familiennamen erhalten Kinder?
  • Inwiefern markieren Namenwechsel eine Zäsur in der persönlichen (Sprach-)Biografie? (Nübling 2021)

Rechtliche oder ideologische Rahmung

  • Inwieweit fungieren Namen als Marker für Ethnizität bzw. Zuwanderung? Vgl. die Änderung polnischer Namen im Ruhrgebiet (Menge 2000).
  • Ist der Namenwechsel intrinsisch oder extrinsisch motiviert (Bidder 2013)? Welche Rolle spielen Strategien zur Vermeidung von Diskriminierung (Gerhards/Hans 2009)?
  • Welche Sprach- bzw. Namenideologien zeigen sich im Kontext von Wanderungsbewegungen (König 2014)? Sind Anpassungen durch Behörden üblich? Vgl. die sprachnationalistisch motivierte Suggestion zur Namenänderung für Personen mit deutschem Migrationshintergrund in Ungarn zwischen 1881 und 1918 (Maitz 2008).
  • Wie beeinflussen rechtliche Regelungen Namenwechsel und Namenwahl? (Z. B. bis 1996 Zwang zum Namenwechsel bei Einbürgerung in Island.)

Wir bitten um Abstracts (max. 400 Wörter) bis 31. März 2025 an migrationsonomastik{at}adwmainz.de. Vorträge (30 Minuten + 10 Minuten Diskussion) können in deutscher und englischer Sprache gehalten werden.

Literatur

Bidder, Benjamin (2013): „Aussiedler in Deutschland. Du heißt jetzt übrigens Eugen“. In: Spiegel Kultur (letzter Zugriff: 11.11.2022).

Bursell, Moa (2012): „Name change and destigmatization among Middle Eastern immigrants in Sweden“. Ethnic and Racial Studies 35 (3), 471–487.

Busley, Simone (demnächst): „Von Anna Margarethe Jäger zu Zulmira Jäger: Politische Einflüsse auf die Namenwahl von evangelisch-lutherischen Deutschstämmigen in Brasilien“. In: Kroiß, Daniel/Lind, Miriam/Späth, Lena (Hrsg.): Beiträge zur Namenforschung: „Namen und Politik“.

Gerhards, Jürgen/Hans, Silke (2009): „From Hasan to Herbert: Name‐Giving Patterns of Immigrant Parents between Acculturation and Ethnic Maintenance“. American Journal of Sociology 114 (4), 1102–1128.

Goldstein, Joshua R./Stecklov, Guy (2016): „From Patrick to John F.: Ethnic Names and Occupational Success in the Last Era of Mass Migration“. In: American Sociological Review 81 (1), 85–106.

Handschuck, Sabine/Schröer, Hubertus (2010): Eigennamen in der interkulturellen Verständigung. Augsburg.

Harnisch, Rüdiger (2011): „Eigennamen als Grund und Mittel von Stigmatisierung und Diskriminierung“. In: Elspaß, Stephan/Maitz, Peter (Hrsg.): Der Deutschunterricht 63 (6): „Sprache und Diskriminierung“, 28–42.

Kaas, Leo/Manger, Christian (2010): „Ethnic Discrimination in Germany's Labour Market: A Field Experiment.“ IZA Discussion Paper No. 4741.

Koch, Nikolas/Riehl, Claudia Maria (2024): Migrationslinguistik. Eine Einführung. Tübingen.

König, Katharina (2014): Spracheinstellungen und Identitätskonstruktion. Eine gesprächsanalytische Untersuchung sprachbiographischer Interviews mit Deutsch-Vietnamesen. Berlin.

Krüssel, Marita (2020): „Es ist so, als hätte man eine neue Jacke“. Namenänderungen von Russlanddeutschen – eine qualitative Studie. Masterarbeit. Universität Münster.

Lütkenhöner, Laura (2011): „Hat Julia aufgrund ihres Vornamens Wettbewerbsvorteile gegenüber Ayse und Chantal? Ein Experiment auf dem Beziehungs-, Nachhilfe- und Wohnungsmarkt“. In: Diskussionspapier des Instituts für Organisationsökonomik 2, 1–22.

Maitz, Péter (2008): „Der Familienname als Ausschluss- und Machtinstrument. Eine kritisch-diskursanalytische Fachstudie“. In: Eller, Nicole/Hackl, Stefan/L’upták, Marek (Hrsg.): Namen und ihr Konfliktpotential im europäischen Kontext. Regensburg, 187–217.

Menge, Heinz (2000): „Namensänderung slawischer Familiennamen im Ruhrgebiet“. Niederdeutsches Wort. Beiträge zur niederdeutschen Philologie 40, 119–132.

Nübling, Damaris/Kunze, Konrad (2023): Kleiner deutscher Familiennamenatlas. Berlin/Boston.

Nübling, Damaris (2021): Bewegte und bewegende Namen. Lebensabschnittsnamen als Marker biografischer Transition. Beiträge zur Namenforschung 56 (1–2), 17–40.

Schweden, Theresa (demnächst): „Lieber eine Schmidt als irgendeinen Ali. Eine diskurslinguistische Studie zu Namen als ethnische Marker auf dem Wohnungsmarkt“. In: Kroiß, Daniel/Lind, Miriam/Späth, Lena (Hrsg.): Beiträge zur Namenforschung: „Namen und Politik“.

Schiller, Christiane (2024): „Motive der Vornamenwahl für Kinder von in Deutschland lebenden Litauerinnen und Litauern“. In: Kessler, Stephan (Hrsg.): Baltische Sprachen und Kulturen in der Diaspora. Hamburg, 225–246.

Schmidt-Jüngst, Miriam (2018): „Der Rufnamenwechsel als performativer Akt der Transgression“. In: Nübling, Damaris/Hirschauer, Stefan (Hrsg.): Namen und Geschlechter – Studien zum onymischen Un/doing Gender. Berlin/Boston, 45–72.

Woo Louie, Emma (1998): Chinese American Names: Tradition and Transition. Jefferson.

Zimmer, Christian (im Erscheinen): „Zur Schreibung türkischer Familiennamen in deutschen Zeitungstexten. Indexikalisches Potential als Auslöser von graphematischem Wandel“. Zeitschrift für germanistische Linguistik.

Zimmer, Christian (2021): „Siedlungsgeschichte und Varietätenkontakt: Zur Entstehung des Namdeutschen.“ Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik 88, 324–350.