Sherlock Holmes

Am 22. Mai 1859 wurde Arthur Conan Doyle in Edinburgh geboren. Er war Arzt und Schriftsteller und obwohl sein literarisches Werk vielfältig ist, wurde er vor allem durch seine Detektivromane berühmt. Die Figur des heute weltberühmten Meisterdetektivs Sherlock Holmes wurde so erfolgreich, dass Doyle sogar dessen Tod in der Erzählung "Das letzte Problem" wieder revidieren und ihn für seine Leser_innen "wiederauferstehen" lassen musste. Holmes, der verschrobene, eigenwillige und hochintelligente Privatermittler ist allerdings nicht denkbar ohne seinen bodenständigen, treuen Freund, Helfer und Chronisten Dr. Watson, mit dem er in gemeinsamen Räumlichkeiten in der Baker Street Nr. 221b residiert. Dort versorgt ihn die geduldige Vermieterin Mrs. Hudson mit ständigem Teenachschub. Man mag sich fragen, warum sie die Marotten ihres Mieters (z.B. Geigenspiel zu später Stunde, Drogenkonsum) duldet. Mit seinem messerscharfen Verstand, übermenschlicher Beobachtungsgabe und analytischen Methoden ist Holmes den meisten Verbrechern überlegen. Allerdings kann ihn tatsächlich die intelligente Irene Adler, die Holmes nur "die Frau" nennt, übertrumpfen und gewinnt sich so seine Bewunderung (ob er zaghaft in sie verliebt ist, ist nicht geklärt).
"Wenn man das Unmögliche ausgeschlossen hat, muss das, was übrig bleibt, die Wahrheit sein, so unwahrscheinlich sie auch klingen mag." Nicht nur der überaus logisch denkende Vulkanier Spock zitiert diesen Ausspruch des berühmtesten Detektivs der Literaturgeschichte, auch die Mainzer Namenforscher_innen halten sich gerne daran und widmen sich den Familiennamen Holmes, Watson, Adler und Hudson.

Holmes

Arthur Conan Doyle wollte für seinen Detektiv keinen sprechenden Namen, an dem man dessen Scharfsinn sofort hätte ablesen können. Ein Allerweltsname sollte es aber auch nicht sein. Doyles Notizbüchern ist zu entnehmen, dass er mit verschiedenen Kandidaten, unter anderem Sherrington Hope, herumexperimentiert hatte, bevor er sich schließlich für Sherlock Holmes entschied. Dabei ist Holmes der weniger ungewöhnliche Namenbestandteil. Im Jahr 1881, also etwa zur Entstehungszeit der Figur, stand er immerhin auf Rang 71 der häufigsten Familiennamen in England. In Deutschland tragen den Namen aktuell rund 350 Personen (erschlossen aus 124 Telefonanschlüssen im Jahr 2005). Über den Charakter seines Trägers sagt der Name in der Tat nichts aus. Es handelt sich um einen Wohnstättennamen, d.h. er geht (bei realen Personen) auf die Lage des Wohnsitzes des ersten Namenträgers zurück. Das kann bei Holmes eine Insel, Halbinsel oder erhöhtes Land in einem Sumpfgebiet (mittelenglisch hōlm, hōlme) sein oder aber eine Gegend, in der viele Stechpalmen (ebenfalls mittelenglisch hōlm, hōlme) wuchsen. Seltener kann der Name auch auf die Herkunft aus einem von mehreren Orten in Großbritannien mit den Namen Holme, Hulme oder Home zurückgehen. Die Endung -s ist bei allen drei Möglichkeiten wahrscheinlich ein Genitivsuffix. An viele englische Familiennamen wurde aber auch erst im 16./17. Jahrhundert, nachdem sie schon über mehrere Generationen vererbt worden waren, ein -s hinzugefügt - in Analogie an die zahlreichen Familiennamen, die schon seit ihrer Entstehung zu mittelenglischer Zeit eines trugen.

Watson

Auch der Name John Watson macht keine direkten Aussagen über den Charakter seines Trägers. An seiner relativen Gewöhnlichkeit kann man aber erkennen, dass es sich innerhalb der Geschichte wohl um den besonneneren, unkomplizierteren Gefährten des exzentrischen Genies handelt. Watson war im Jahr 1881 auf Rang 37 der häufigsten Familiennamen in England. Möglicherweise hat Doyle, der selbst Arzt war, den Charakter nach einem von mehreren zeitgenössischen angesehenen Medizinern namens Watson benannt (siehe https://lithub.com/how-sherlock-holmes-got-his-name). Bei dem Namen handelt es sich um ein Patronym, d.h. eine Benennung nach dem Vater oder einer anderen männlichen Bezugsperson des ersten Namenträgers, zum Rufnamen Wat, einer Kurzform von Walter. Solche Patronyme können im Englischen aus dem blanken Rufnamen bestehen oder mit einem Genitiv-s bzw. dem Suffix -son gebildet sein. Dieses geht darauf zurück, dass dem Rufnamen das Wort son 'Sohn' nachgestellt wurde. In Deutschland tragen den Familiennamen aktuell rund 600 Personen (erschlossen aus 215 Telefonanschlüssen im Jahr 2005). Dabei muss der Ursprung nicht in allen Fällen englisch sein: Auch im Niederdeutschen gibt es sowohl die Rufnamenkurzform Wat als auch das patronymische Suffix -son.

Adler

Irene Adler ist einer der wenigen Menschen, die Holmes als ebenbürtig empfindet, und eine der schillerndsten Gestalten im Sherlock-Holmes-Universum, obgleich sie nicht häufig auftritt. Nachdem sie während des Skandals in Böhmen ihre Gewieftheit als Gegenspielerin bewiesen hat, sagt der Böhmische König - getreu der damaligen, aus heutiger Sicht etwas verstaubten Geschlechtervorstellungen - von ihr: "Sie hat das Gesicht der schönsten aller Frauen und den Verstand des entschlossensten aller Männer." Die Benennungsmotivik des deutschen Familiennamens Adler, den die (fiktive) gebürtige US-Amerikanerin trägt, ist breit gefächert: In den meisten Fällen geht der Familienname Adler als Wohnstättenname darauf zurück, dass jemand in oder nah bei einem Haus mit dem Namen Zum Adler wohnte. Der Adler (mittelhochdeutsch adelar 'edler Ar') war als Wappentier und als Symboltier des Evangelisten Johannes als Hauszeichen äußerst beliebt. Eventuell war in Einzelfällen auch die Benennung nach der Herkunft zu entsprechenden Siedlungsnamen namengebend. Daneben können Eigenschaften des Tiers Benennungsmotive sein: Einige erste Namenträger wurden wahrscheinlich nach ihrem Aussehen (Adlernase, stechende Augen) oder ihren Charaktereigenschaften (Scharfsichtigkeit, Stolz o.ä.) benannt. In diesem Fall handelt es sich um Übernamen. Vielleicht hat Sir Arthur Conan Doyle wegen eben solcher Assoziationen den Familiennamen für seine gewiefte Figur gewählt? In Einzelfällen kann der Familienname letztendlich auch als Patronym auf Rufnamen zurückgehen, die mit den althochdeutschen Namengliedern adal 'Geschlecht, Adel' und heri 'Heer' gebildet werden, etwa Adelher.

Hudson

"Mrs. Hudson, Sherlock Holmes' Wirtin, hatte eine Menge zu erdulden. [...I]hr seltsamer Mieter legte so exzentrische Züge an den Tag und führte ein so unregelmäßiges Leben, dass er oft genug zum Prüfstein für ihre Geduld wurde. Seine unglaubliche Unordnung, die Gewohnheit, zu den unmöglichsten Stunden Geige zu spielen, seine gelegentlichen Revolverübungen innerhalb der Wohnung, seine unverständlichen und oftmals stinkenden physikalischen Experimente und die Atmosphäre von Gewalt und Gefahr, die ihn umgab, machten ihn zu dem schlimmsten Mieter von ganz London."
Mrs. Hudson ist die mütterliche Gestalt und gute Seele der Holmes-Geschichten. Obwohl oft schockiert von Holmes' Verhalten (oder seinen Besuchern), ist sie stets herzlich und fürsorglich. Vielleicht liebt sie Abenteuer doch ein bisschen mehr, als sie zugeben will? Den englischen Familiennamen Hudson tragen in Deutschland ca. 220 Menschen (2005 gab es 76 Telefonanschlüsse auf den Namen). Es handelt sich dabei um ein Patronym, also eine Nachbenennung nach dem Vater oder einer anderen männlichen Bezugsperson, zum mittelenglischen Rufnamen Hud(de), erweitert um das patronymische Suffix -son. Hud(de) seinerseits ist meist eine hypokoristische (d.h. Kose-)Form von Hugh, der englischen Form des Rufnamens Hugo. Der Rufname gelangte zu mittelenglischer Zeit mit den Normannen nach England. Seltener kann Hud/Hudde auch auf den altenglischen Rufnamen Hud(d)a zurückgehen, dessen weitere Etymologie ungeklärt ist. Die Herkunft des Familiennamens ist also fast so kompliziert wie das Zusammenleben mit Holmes.