Angst und Bange

An Halloween gehen die Geister um – warum das so ist, siehe Link zum Halloween-Special 2014. Die Kostüme, die Dekorationen, alles soll schön gruselig sein, aber warum wollen wir uns überhaupt gruseln? Der Angstzustand ist eine heftige Reaktion und die damit verbundenen Situationen prägen sich oft tief im Gedächtnis ein. Auch scheinbar harmlose Kindergeschichten wie die Märchen spielen mit unseren Ängsten. Man setzt in den Erzählungen unsere Furcht ein, damit wir uns eine Botschaft (meist im erzieherischen Sinn) gut einprägen. Geraten wir in Furcht und Schrecken, stellt sich Angstschweiß, Herzrasen, erhöhter Puls und Gänsehaut ein, wir möchten schreien vor Angst. Der Körper bereitet sich auf Flucht vor, Adrenalin wird ausgeschüttet. Ist die Gefahr vorbei, werden wir mit Glückshormonen belohnt. Evolutionsbiologisch also ein wichtiger Vorgang, der zum Überleben beiträgt. Ob unsere Vorfahren nun vor Säbelzahntigern flüchteten oder wir uns heute auf dem Sofa vor Vampiren, Geistern und Zombies fürchten, die Reaktion ist die gleiche und die überstandene Gefahr hinterlässt ein wohliges, angenehmes Gefühl. Wir haben es mal wieder geschafft, uns nicht von den Unholden fressen zu lassen! Da wir heute eher weniger in reale lebensbedrohliche Situationen geraten, verschaffen wir uns auch gerne ein künstliches Angstgefühl mit Filmen, Büchern und eben Halloweenkostümen. Waren unsere Vorfahren im Mittelalter auch schon begeistert vom Gruseln oder warum wurden sie Schreckegast, Bange, Bammel, Schrei, Furchtsam oder Fürchtenicht genannt?

Schreckegast

Es ist Nacht, ein Gewitter tobt, wir haben uns verfahren und da tauchen mitten im Nirgendwo die Lichter eines Anwesens oder einer Herberge auf. Erleichtert suchen wir Zuflucht und beziehen ein Gästezimmer. Doch kaum lassen wir uns gemütlich nieder, bereuen wir unsere Entscheidung. Irgendwie verhalten sich der Gastgeber und die anderen Gäste merkwürdig... Das hört sich wie der Beginn einer Gruselgeschichte oder eines Horrorfilms an (man denke an "Rocky Horror Picture Show"). Aber kamen solche Vorkommnisse auch wirklich vor oder warum heißen ca. 25 Personen (entspricht 9 Telefonanschlüssen in unserer Datenbank) Schreckegast? Der Name hat tatsächlich etwas mit Erschrecken zu tun. Es ist ein Satzname zu mittelhochdeutsch, mittelniederdeutsch schrecken 'aufspringen machen, erschrecken, in Schrecken versetzen' und mittelhochdeutsch, mittelniederdeutsch gast 'Fremder, Nichtheimischer, Nichtbürger, feindlicher Krieger, Gast'. Damit gemeint ist wohl ein ungastlicher oder fauler Wirt, der seine Gäste vom Tisch aufschreckt, vertreibt. Immerhin sind die Gäste nicht mit Leib und Leben bedroht, aber doch der gemütlichen Einkehr beraubt worden. Eine ähnliche Bedeutung hat der Familienname Nagengast ([ich] nage/quäle den Gast).

Schrei

Die wohl bekannteste Verkörperung eines schreienden Menschen, dessen Entsetzen in seinem Gesicht zu erkennen ist, schuf der norwegische Maler Edvard Munch 1893 mit seinem Gemälde "Der Schrei". In der Popkultur wurde dieses Bild rund 100 Jahre später zur Grundlage für Maske und Titel des Horrorfilms "Scream", der 1996 Gruselfans weltweit im Kino erschreckte und unserer Namenkarte ihr schauriges Aussehen verleiht. Unseren Alltag erreichte Munchs "Schrei" schließlich durch das allgegenwärtige Schrei-Smiley, das in Textmessengern und Social Media zum Standardrepertoire gehört. Heute haben wir also ein ziemlich genaues Bild davon, wie ein Mensch auszusehen hat, dem man den Spitznamen "Schrei" geben könnte.
Aber wie war das vor einigen Jahrhunderten, als die Familiennamen entstanden? Der Familienname Schrei wird in Deutschland von rund 250 Personen getragen (entspricht 84 Telefonanschlüssen in unserer Datenbank), die häufigere Variante Schrey tragen etwa 1300 Personen. Ob eine besondere Furcht, die sich in Angstschreien ausdrückte, namengebend war, lässt sich heute nicht mehr feststellen. Doch geht der Familienname auf dasselbe Wort zurück: Im Süden ist es im späten Mittelalter als mittelhochdeutsch schrei, im Norden als mittelniederdeutsch schrei, schrey belegt und hatte schon damals dieselbe Bedeutung wie heute. Wer so benannt wurde, dürfte also tatsächlich häufig geschrien oder besonders laut geredet haben (wenn auch nicht unbedingt aus Angst). Möglich ist auch ein indirekter Berufsname für jemanden, der von Berufs wegen schreien musste – etwa für einen Ausrufer oder Herold, der Nachrichten verkündete oder in der Öffentlichkeit mündlich Mitteilungen weitergab.

Bange und Bammel

Die Vorfahren der rund 1400 bzw. 560 Personen mit dem Familiennamen Bange und der Variante Bang (entspricht 493 bzw. 192 Telefonanschlüssen) würden sich heutzutage in der Halloween-Nacht wohl nicht sehr wohl fühlen: Der Name geht auf mittelhochdeutsch bzw. mittelniederdeutsch bange 'bange, ängstlich' zurück und bezeichnete einen ängstlichen Menschen. Zum Glück für sie war Halloween mit seinen gruseligen Kostümen und Bräuchen im mittelalterlichen Deutschland aber noch gänzlich unbekannt. Allerdings gab es bereits damals andere Feste, bei denen ihnen Angst und Bange werden konnte, so gehören etwa die noch heute in der schwäbisch-alemannischen Fastnacht verbreiteten Teufelsfiguren zu den ältesten Fastnachtskostümen überhaupt. In seltenen Fällen haben die beiden Namen nichts mit der Ängstlichkeit der Namenträger zu tun: Dann handelt es sich um ein Patronym zu einem alten Rufnamen Penko, Banko – ihrerseits Kurzformen von Rufnamen wie Bankhart, in denen wohl altnordisch banga 'schlagen' steckt. Wie sich die mittelalterlichen Träger des Familiennamens Bammel (heute etwa 310 Namenträger:innen bei 115 Telefonanschlüssen) an Halloween schlagen würden, können wir nicht sagen, der Name hat jedenfalls nichts mit Angstgefühlen zu tun. Vielmehr verbirgt sich dahinter mittelniederdeutsch bammelen, bammeln 'hin- und herpendeln, baumeln': Der Name bezeichnete einen unruhigen oder wankelmütigen, unbeständigen Menschen.

Furchtsam und Fürchtenicht

Es gibt Dinge, die uns das Fürchten lehren. Und auch viele Dinge, die furchtbar sind. Etwa der Moment, in dem man die Haustür hinter sich zuzieht und beim Fallen der Tür ins Schloss merkt: "Mist, mein Schlüssel liegt noch in der Wohnung!" Da freut sich wohl nur der Schlüsseldienst, man selbst findet es meistens eben furchtbar. Auch schon im Kindesalter stößt man mancherorts auf viele furchtbare Dinge. Etwa das elende Kreischen von auf der Tafel kratzender Kreide, wirklich fürchterlich! Menschen namens Furchtsam (etwa 26 Personen/9 Anschlüsse), die nach mittelhochdeutsch vorhtsam, vorhtesam 'furchtvoll, furchtsam, ängstlich' benannt wurde, waren besonders empfindsam. Sie hätten in einer furchterregenden Situation wohl in Windeseile das Weite gesucht. Menschen namens Fürchtenicht (etwa 215 Personen/74 Telefonanschlüsse)  konnte im Gegensatz dazu nichts so leicht erschüttern. Dieser Familienname geht auf einen Satznamen zu mittelniederdeutsch vröchten, vrüchten, vürchten, mittelhochdeutsch vürhten, vurhten, vörhten, vorhten 'Furcht, Angst, Besorgnis empfinden, sich fürchten, besorgt sein' und mittelniederdeutsch nicht, nich, mittelhochdeutsch niht 'nicht, nichts' zurück und bezeichnet mit 'ich fürchte mich nicht/fürchte nichts' einen furchtlosen Menschen. Aber wer weiß schon, wie es heutzutage an Halloween mit dieser Furchtlosigkeit stünde?