Transgressive Selbstbenennungspraktiken: Differenzmarkierung durch freien Rufnamenwechsel in Schweden

Rufnamen dienen der individuellen Identifzierbarkeit. Da sie im engeren (lexikalischen) Sinne keine Bedeutung tragen, eignen sie sich umso mehr dazu, mit sozialen Informationen aufgeladen zu werden. Neben der Geschlechtsauskunft können Rufnamen z.B. Informationen zum Alter (Karlheinz vs. Finn), zur Religion (Mohammed vs. Joseph) oder Ethnizität (Fatima vs. Gertrud) enthalten. Diese Informationen werden oft als lebenslange und gegebene Konstanten begriffen, da Rufnamen in der Regel bei Geburt vergeben und nur in Ausnahmefällen im Laufe des Lebens geändert werden. Ändert sich jedoch die soziale Zugehörigkeit oder Mitgliedschaft, kann diese Veränderung durch einen Namenwechsel signalisiert und markiert werden. Während in Deutschland ein restriktives Namenrecht gilt, das auf lebenslange Namenkontinuität abzielt, hebt sich Schweden davon mit einer äußerst liberalen Namengesetzgebung ab: Sowohl der Ruf- als auch Familienname können im Laufe des Lebens verändert oder komplett ausgewechselt werden. Besonders beim Rufnamen als dem persönlichsten Namen eines Menschen stellt sich die Frage, welche sozialen Zugehörigkeiten oder Mitgliedschaften Personen bei einem Rufnamenwechsel kündigen und welche sie umgekehrt wählen. Dafür untersucht das Projekt anhand offizieller Namenwechselanträge, die an die zuständigen schwedischen Behörden gestellt wurden, sowie anhand leitfadengestützter Interviews konkrete Fälle von Namenwechsel. Dabei fokussiert das Projekt drei Bereiche:

1) Motiv(e) des Namenwechsels: Es ist anzunehmen, dass ein Namenwechsel mit einer sozialen, jeweils individuell bedeutsamen Veränderung einhergeht. Wird etwa wie im Falle von Migration die nationale Zugehörigkeit verändert, kann diese Veränderung mit einem Namenwechsel einhergehen ("ausländischer Name" > "einheimischer Name"). Kommt es etwa aufgrund des Namens zu ethnischer Diskriminierung, z.B. zu Benachteiligungen am Arbeits- Wohnungs-oder Beziehungsmarkt, können Namenwechsel nicht nur intrinsisch, sondern oft auch von außen motiviert sein (extrinsische Motivation).

2) Namenwahl: Individuell bedeutsame soziale Veränderungen können graduell verlaufen, was Einfluss darauf haben kann, welcher neue Name gewählt wird. So etwa kann der bestehende Name nur hinsichtlich seiner Schreibung an das kulturelle Umfeld angepasst (Aleksander > Alexander), verkürzt (Cecilia > Cia) oder auch komplett ausgetauscht (Mohammed > Sven) werden. Neben unterschiedlichen, individuellen Strategien bei der Namenwahl ist zudem zu erwarten, dass sich die Wahl des neuen Namens jeweils zwischen den Polen "unauffälliger Name" vs "exklusiver Name" ansiedeln lässt. Welcher Name wird gewählt? Inwiefern passt er in die schwedische Namenlandschaft? Inwiefern unterscheidet er sich vom alten Namen?

3) Prozess des Namenwechsels: Das Projekt fragt schließlich auch nach dem Prozess des Namenwechsels. Welche Bedeutung hat die Namenänderung für die Identität? Welche Erwartungen werden an den Namenwechsel gestellt und werden sie wirklich erfüllt? Wie wird der Namenwechsel vom sozialen Umfeld angenommen? Wie und wann wird der Namenwechsel dem sozialen Umfeld (evt. schrittweise) bekannt gegeben? In welchem Verhältnis stehen alter und neuer Name zueinander? Ist der abgelegte Name tabu oder wird er in bestimmten sozialen Kreisen weiterverwendet? Während sich die bisherige Rufnamenforschung auf die elterliche und damit fremdbestimmte Vergabe von Rufnamen konzentrierte, verfolgt das Projekt das Ziel, den Prozess, die Hintergründe und individuelle Strategien der Selbstbenennung erstmals genauer zu beleuchten.